Der Krebs kommt nach Jahrzehnten

Auch wer Asbest nur kurz ausgesetzt war, kann später gefährdet sein. Jetzt gibt es ein neues Verfahren zur Vorsorge.

Es begann mit Reizhusten. Einem Husten, dem mit keinem gängigen Hausmittel oder Medikament beizukommen war. Als die Schmerzen im Brustkorb immer heftiger wurden, überwies der Hausarzt den 80 Jahre alten Patienten zu einem Kardiologen. Der fand keinen Hinweis auf einen Herzinfarkt, äußerte aber einen anderen Verdacht: Brustfellkrebs. „Das bestätigte sich nach eingehender Untersuchung bei uns“, sagt Martin Metzenmacher, der als Facharzt für Hämatologie und Onkologie an der Universitätsmedizin Essen tätig ist, wo es eines der 15 Brustfellkrebs-Zentren in Deutschland gibt.

Das maligne Pleuramesotheliom, ein aggressiv wachsender Tumor, zählt zu den selteneren Krebsarten in Europa. Im bundesdeutschen Schnitt beträgt die Häufigkeit 1,1 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner. Doch es gibt Regionen mit fünf- oder sogar sechsfach höherer Brustfellkrebs-Häufigkeit wie das Ruhrgebiet oder norddeutsche Städte und Kreise mit großen Betrieben wie Schiffswerften. „In rund 80 Prozent aller Pleuramesotheliom-Erkrankungen kann ein oft Jahrzehnte zurückliegender Asbestkontakt nachgewiesen werden“, sagt der Arzt. So war das auch im Fall des 80 Jahre alten Patienten. Er arbeitete vor Jahrzehnten in einem Metallbetrieb und litt nun an einem Pleuraerguss, einer Flüssigkeitsansammlung zwischen Lunge und Rippenfell.

Asbest bezeichnet eine Gruppe von mineralischen Fasern. Weil es sehr fest, hitze- und säurebeständig ist und obendrein auch noch hervorragend dämmt, galt Asbest lange als Wunderfaser. Seit dem 19. Jahrhundert wurde Asbest in der Stahl- und Schiffbauindustrie, für Bremsklötze an Eisenbahnwaggons und Autos, in Schutzkleidung, in Gebäuden und bei zahllosen Produktionsprozessen wie der Filtration genutzt. Doch Asbest hat einen großen Nachteil: Eingeatmete Fasern können zu schweren Erkrankungen und zum Tod führen. Zwar wurde die Gefährlichkeit früh bekannt, doch erst 1990 wurde Asbest in die höchste Gefährdungsgruppe krebserzeugender Stoffe aufgenommen – und erst 1993 wurden in Deutschland Import, Herstellung und Verwendung von Asbestprodukten verboten.

„Asbest ist in vielfacher Hinsicht tückisch: Auch wer den Fasern in sehr hoher Konzentration über einen kürzeren Zeitraum und nicht das komplette Berufsleben ausgesetzt war, kann gefährdet sein. Und: Oft liegt die Asbestexposition schon viele Jahre zurück, bevor Patienten an Rippenfellkrebs erkranken, die Inkubationszeit beträgt oft mehrere Jahrzehnte, etwa zwischen 20 bis 40 Jahren“, sagt Metzenmacher, der am Westdeutschen Tumorzentrum der Universitätsmedizin Essen auch Patienten mit Pleuramesotheliom behandelt.

Aus der Schweiz ist sogar ein Fall eines Rentners bekannt, der wahrscheinlich deshalb an Rippenfellkrebs starb, weil er als Kind in der Schreinerei seines Vaters mit asbesthaltigem Fensterkitt spielte. „Das mittlere Erkrankungsalter liegt in Deutschland zurzeit bei 76 Jahren“, so der Onkologe, der federführend an der ersten deutschsprachigen Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Pleuramesothelioms beteiligt war. Betroffen von der Erkrankung sind zu mehr als 80 Prozent Männer. Doch es gibt auch Fälle, in denen die Ehefrauen von Bergoder Stahlarbeitern erkrankten, die – wie in den Fünfziger- und Sechzigerjahren üblich – die Arbeitskleidung ihrer Männer zu Hause reinigten und beim Ausschütteln, Mangeln oder Bügeln wohl mit den Fasern in Kontakt kamen.

„Wie bei den meisten bösartigen Krebserkrankungen gibt es keine richtigen Frühsymptome, sodass Rippenfellkrebs häufig erst dann entdeckt wird, wenn er schon weit fortgeschritten ist“, sagt Metzenmacher. Die Therapie richtet sich nach dem Subtyp des Tumors. Wird das Rippenfell entfernt, um die Tumorlast so weit wie möglich zu reduzieren, bekommen die Patienten davor oder danach eine Chemotherapie. Wenn die Turmorlast im fortgeschrittenen Stadium nicht mehr reduziert werden kann, kommt die Immuntherapie infrage, für die aktuell zwei Medikamente zugelassen sind.

Zwar gibt es Patienten, die mehrere Jahre ohne Tumor leben – Metzenmacher behandelt einen Maschinenbauer, dessen Krebsdiagnose schon 13 Jahre zurückliegt –, doch viele Betroffene sterben zwölf bis 24 Monate nach der Erstdiagnose.